Vergangenen Samstag gingen in Spaniens Hauptstadt Madrid Menschenmassen auf die Straße und forderten den Rücktritt des sozialistischen Premiers Pedro Sanchez. Auslöser sind zwei Gesetzesänderungen, die von den Spaniern als „Verrat“ betrachtet werden. Sanchez habe das Land gespalten, Putschisten und Vergewaltiger befreit, wirft man ihm vor. Über all dem thront das Super-Wahljahr 2023. Im Mai stehen Regional- und Kommunalwahlen an, zu Jahresende die Parlamentswahl. Laut Umfragen liegt das rechte Lager in der Wählergunst deutlich vorne.
Verräter
Sanchez ist seit 2018 im Amt und erlebte seither turbulente Zeiten. 2020 bildete er eine Minderheitsregierung mit der linken „Unidas Podemos“. Unterstützt wird er von den Basken und der katalanischen Unabhängigkeitspartei (ERC). Das erfordert Zugeständnisse. Auslöser für die Proteste war die Abschaffung der Straftat „Volksverhetzung“, was mildere Haftstrafen für katalanische Separatisten bringt. Zum anderen die Aufweichung eines Gesetzes über sexuelle Gewalt, was zur vorzeitigen Entlassung von Straftätern führte. Die konservative Volkspartei (PP) und der rechte Shooting-Star „Vox“ nutzten die Kundgebung zum Auftakt ihres Wahlkampfs. Die Teilnehmer schwenkten rot-gelb-rote spanische Flaggen. Auf Schildern nannten sie ihn „Verräter“.
Schlimmste Regierung
Laut Organisatoren gingen 700.000 Menschen auf die Straße, laut offiziellen Angaben nur 30.000. Zu Beginn der Kundgebung sagte Vox-Führer Santiago Abascal gegenüber Reportern, die Sanchez-Regierung sei „die schlimmste der Geschichte“. Sie habe die „Spanier gespalten und Vergewaltiger und Putschisten befreit“. Er rief zu einer dauerhaften Massenmobilisierung auf, bis „der Autokrat Sanchez“ aus dem Amt getrieben wird. Volksparteiführer Alberto Nunez Feijoo, der versucht, die Partei in die Mitte zu drängen, seit er im April ihr Vorsitzender wurde, war nicht bei der Kundgebung, ermutigte aber seine Mitstreiter, daran teilzunehmen. Die Volkspartei liegt laut Umfragen bei den anstehenden Wahlen gut im Rennen, braucht aber die Unterstützung von Vox, um eine Regierung bilden zu können. Vox spaltete sich 2013 von der PP ab und ist heute drittstärkste Kraft im Parlament.
Putschisten-Gesetz
Für Sanchez wird es eng. Da nützt ihm auch die Erhöhung der Renten und Beamtengehälter zur Abfederung der Inflation nichts. Sein politischer Zick-Zack-Kurs, geprägt von Zugeständnissen an seine „Dulder“, wird ihm massiv angekreidet. Im Dezember 2022 schaffte seine Regierung den Straftatbestand der „Volksverhetzung“ ab. Darauf standen 30 Jahre Haft. Ersetzt wurde er durch „Störung der öffentlichen Ordnung“, was milder geahndet wird. Die Opposition wirft Sanchez vor, sich damit die katalanische ERC gewogen zu halten. Die Regierung argumentiert, „Volksverhetzung“ sei eine veraltete Straftat. Sie müsse an eine bessere europäische Norm angepasst werden. Man müsse zudem den Konflikt in Katalonien entschärfen.
Albtraum 2017
Der katalonische Abspaltungsputsch von 2017 stürzte Spanien in die schlimmste politische Krise seit Jahrzehnten. Der damalige katalonische Führer Carles Puigdemont ließ ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten, das vom spanischen Verfassungsgericht niedergeschmettert wurde. Es kam zu Tumulten, die Spanien an den Rand eines Bürgerkrieges brachten. Madrid griff ein, Puigdemont wurde abgesetzt. Er und führende Separatisten-Köpfe, alle Ex-Minister, setzten sich nach Belgien und Schottland ab. Puigdemont und einige der Minister wurden 2019, trotz laufender Verfahren, sogar als Abgeordnete ins EU-Parlament gewählt. Sie leben bis heute im Ausland. Spanien zog einen europäischen Haftbefehl wieder zurück, weil etwa Deutschland, wo Puigdemont 2018 einmal verhaftet wurde, eine Auslieferung aufgrund von „Volksverhetzung“ verweigerte. Spanische Gerichte hätten Puigdemont wegen dieser Straftat nicht mehr anklagen können. Der nationale Haftbefehl in Spanien ist aufrecht.