Südamerika und der Nahost-Konflikt: Kolumbien lehnt Hamas-Verurteilung ab

Von Kornelia Kirchweger
25. Oktober 2023
Lesezeit: 4 Min.

Zwischen den bisher eng verbündeten Staaten Israel und Kolumbien herrscht Eiszeit. Seit dem Vorjahr regiert der linke Präsident Gustavo Petro, der sich nun eine Woche lang ein diplomatisches Hickhack mit dem israelischen Botschafter in Bogota gab. Petro hatte Israels Angriffe auf Gaza mit der NS-Verfolgung der Juden verglichen. Dem Druck der USA und Israels, die Hamas zu verurteilen, gab er nicht nach. 

Die Nachbarländer hielten sich aus dem Disput heraus. Tel Aviv kündigte die Einstellung der „Sicherheitsexporte“ an Kolumbien an.  Dem folgte eine Kehrtwende Kolumbiens.

Botschafter soll gehen

Davor legte der kolumbianische Außenminister Israels Botschafter in Bogota aber noch nahe, sich beim Präsidenten zu entschuldigen und zu gehen. Medien interpretierten das als Ausweisung des Botschafters, was der Außenminister später relativierte. Der Disput begann am 7. Oktober. Präsident Petro feuerte auf X eine Breitseite nach der anderen gegen Israel. Er verteidigte die Palästinenser und beschuldigte Israel, im Gazastreifen die Taktik der verbrannten Erde anzuwenden. Wenn es sein müsse, breche man die Beziehungen zu Israel eben ab.

Schwere Vorwürfe 

Petro warf Israel auch vor, Massaker und Völkermorde in Kolumbien ausgelöst zu haben, indem sie paramilitärische Kräfte der AUC ausgebildet haben. Das ist ein eigenes Kapitel, das weit in die Zeit des 52 Jahre dauernden Bürgerkriegs in Kolumbien zurückgeht. Die AUC (Vereinigte Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens) wurde 1997 gegründet, um unterschiedliche paramilitärische Gegenguerilla-Einheiten zu konsolidieren, die seit den 1980er Jahren in mehreren Gebieten des Landes entstanden waren. Man wirft ihr vor, einen Großteil der Drecksarbeit für das kolumbianische Militär erledigt zu haben, beispielsweise die Ermordung von Bauern und Gewerkschaftsführern. AUC stand bis 2014 auf der Terrorliste der USA und der EU.

Hamas und Mossad

Der Präsident ließ auf X auch wissen: Die Hamas sei vom israelischen Geheimdienst Mossad gegründet worden, um das palästinensische Volk zu spalten und einen Vorwand zu haben, es zu bestrafen. Vielleicht bezog er sich dabei auf einen Bericht im Wall Street Journal von 2009 mit dem Titel: „Wie Israel dabei half, die Hamas hervorzubringen“ behauptet. Demnach habe Israel die Hamas jahrelang toleriert und in einigen Fällen als Gegengewicht zu den säkulären Nationalisten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und ihrer Fatah von Jassir Arafat ermutigt. Eine Äußerung von Israels Premier Benjamin Netanyahu von 2019 vor Parteimitgliedern seiner Likud in der Knesset lässt ebenfalls aufhorchen: Wer die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern wolle, müsse die Stärkung der Hamas und Geldtransfers an die Hamas unterstützen

Petros Politik spaltet

Israels Botschafter, Gali Dagan, reagierte auf die Angriffe Petros mit einem sarkastischen Posting, das nur jenen verständlich ist, die Israels Rolle bei der Ausbildung und Bewaffnung der paramilitärischen Gruppen in Kolumbien kennen. Kolumbien war in den letzten 20 Jahren einer der engsten Partner Israels. Das Land wurde oft als „Israel Südamerikas“ bezeichnet. Petros politischer Kurs spaltet. Er will das auf Kohle und Öl basierende Wirtschaftssystem ändern und künftig keine weiteren Lizenzen zur Öl-Erkundung mehr vergeben. Ganz wichtig ist ihm Stabilität und Frieden im Land und die Bekämpfung der Armut. Junge und Arme jubelten Petro zu. Die Wirtschaft warnte vor seinen Programmen, mehrere Militärs lehnten seine Wahl ab. 

Kehrtwende

Schließlich kündigte Tel Aviv an, als Reaktion auf die „antisemitischen Aussagen des Präsidenten“ alle „Sicherheitsexporte“ nach Kolumbien einzustellen. Für Kolumbien ein Desaster. Wenige Tage später ruderte Bogota völlig zurück. Man werde die Beziehungen mit Israel aufrecht halten. Man verlange lediglich Respekt vor dem Präsidenten, hieß es. Analysten vermuten massiven Druck. Zum einen seitens der USA, die laut „School of Americas Watch“ Dutzende US-Militärstützpunkte in Kolumbien hat. Zudem hat Washington Truppen in den Nachbarländern Peru und Ecuador versammelt. Zum anderen durch Israel, das wichtigster Lieferant für „Sicherheitsausrüstung“ ist. Inklusiven Luftverteidigungs- und Überwachungssystemen, Cyber-Sicherheitssystemen und andere Waffen – wie Hermes Drohnen, Spike Missiles, KC-767 Auftank-Panzer, Kampfjets, usw. 

Nicht nur Freunde

Für die kolumbianischen Militär- und Polizeikräfte ist Israel ein wichtiger Verbündeter. Das zeigte sich 2021 anlässlich eines landesweiten Streiks gegen die äußerst umstrittene neoliberale Politik der damaligen Regierung Ivan Duque (Privatisierung der Renten, Abschaffung der öffentlichen Gesundheitsversorgung, Senkung des Mindestlohns, Einführung einer 19-prozentigen Steuer auf Grundnahrungsmittel). Dem Streik folgten heftige Repression der von Israel ausgebildeten kolumbianischen Sicherheitskräften. Beobachter sagen, sie setzten dabei in Israel hergestellte Waffen ein. Das Ergebnis: mindestens 48 Todesfälle. Auch das könnte ein Grund für die Wahl Petros gewesen sein. Der mexikanisch-libanesische geopolitische Analyst Alfredo Jalife warnte Präsident Petro am Höhepunkt der diplomatischen Streiterei: „Seien Sie vorsichtig, Petro! Die Israelis könnten einen Putsch organisieren. Sie kontrollieren die Spionagesoftware Kolumbiens und bilden seine Soldaten und Paramilitärs aus…“. 

Gespaltenes Südamerika

Der Disput legt aber auch die gespaltene Haltung Südamerikas gegenüber dem Israel/Palästina-Konflikt. Diese Kluft trat offen zutage, als Russland im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution auf den Tisch legte, die einen sofortigen und dauerhaft zu respektierenden humanitärer Waffenstillstand in Gaza gefordert hatte. Brasilien und Ecuador enthielten sich der Stimme. Die meisten lateinamerikanischen Länder, darunter Brasilien und Mexiko, vertreten eine neutrale Linie. Die USA, Großbritannien, Frankreich alle ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder und Japan stimmten dagegen – wohl auch, weil es ein russischer Vorschlag war. China, Gabun, Mozambik, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland stimmten für die Resolution. 

Eklat: Spanische Regierungsmitglieder wollen Netanyahu vor Gericht bringen

Die Verurteilung der Hamas nach den Anschlägen auf Israel ist eine Kernforderung Tel Avivs. Sei es seitens Regierungen als Gesamtes oder einzelner Politiker. Genau das führte letzte Woche zu einem Eklat zwischen Israel und Spanien: Einige linke Regierungsmitglieder der aktuellen Koalition in Madrid beschuldigten Israel des Genozids an den Palästinensern. In einigen Postings forderten sie, Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu vor den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu bringen. Die israelische Botschaft in Spanien kritisierte, dass sich einige spanische Minister auf die Seite der Hamas stellen und sich somit dem Terrorismus vom Typ IS (Islamischer Staat) anschließen. Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel bezeichnet auch Netanyahu die Hamas als IS. Die israelische Armee behauptete zudem, am Ort des Angriffs sei eine IS-Flagge gefunden worden.

 

Zum Autor: Kornelia Kirchweger war Journalistin bei „Austria Presse Agentur“, Bundespressedienst, „BBC“, „Asahi Shimbun“. Fokus: EU, Asien, USA, Afrika. Seit 2016 beim „Wochenblick“. Rockte die sozialen Medien mit ihrem offenen Brief an Greta Thunberg und machte gegen den UNO-Migrationspakt mobil.

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