Ein Gastbeitrag von Helmut Müller
Ich bin der Meinung, dass sie (die Palästinenser) ein Recht zur Existenz, ein Recht auf ihre Leben haben und dass man ihr Land nicht wegnehmen darf. (Bruno Kreisky, am 8. Februar 1988)
Eines vorweg: Die Entwicklung in Nahost lässt natürlich auch mich nicht kalt. Anders aber als der „Mainstream“, versuche ich auch hier dem oder den Problemen möglichst in objektiver Weise gerecht zu werden, beide Seiten zu verstehen. Dass ich die gerechte Sache der Palästinenser, darunter es ja auch Christen gibt, verteidige, bedeutet ja nicht, dass ich mögliche Kriegsverbrechen der Hamas gutheiße oder das Existenzrecht Israels bestreite. Aber Unrecht beim Namen nennen und aufzeigen, was andere unterlassen, ist mir eben ein Anliegen.
Objektivität: Für die Systemmedien auch in diesem Konflikt ein Fremdwort
Der Journalismus brauche mehr Selbsterkenntnis, meinte der Chef der Austria Presseagentur (APA) in einem Standard-Interview. Gar keine schlechte Idee, gerade auch in Hinblick auf die aktuelle Berichterstattung. Wie schon beim Thema Ukraine wird der Medienkonsument auch hinsichtlich der Ereignisse in Israel vom „Mainstream“ sehr einseitig und mit Halbwahrheiten gefüttert. Da schreibt etwa der außenpolitische Kommentator der Kronen-Zeitung, die Hamas werde nur noch vom Iran und der mit Teheran verbündeten Hisbollah unterstützt. Stimmt nicht ganz, der Krone-Mann ignoriert, absichtlich oder nicht, dass Katar seit Langem der Hauptfinanzier der Hamas ist, deren Führung, wie jene der Moslembrüder auch, dort gut beschützt wird. Schweigen darüber, weil die USA deren Öl benötigen, dort eine große Luftwaffenbasis haben und man im Übrigen Washington nicht anschwärzen möchte?
Im Falle der iranischen Hilfe für die Hamas könnte man allerdings schon bald anderes zu hören bekommen, denn nun hätten die USA angeblich etwas dagegen, dass der Iran durch zu starke Hinweise auf dessen großzügige Hamas-Unterstützung noch mehr Ansehen in der islamischen Welt gewänne. Will also heißen, bitte, die Mullahs nicht in den Vordergrund spielen. Aber auch sonst könnte bald einmal einiges anders daherkommen als bisher. Etwa, dass im „Mainstream“ insgesamt zwar von abgeschnittenen Babyköpfen und geschändeten jüdischen Frauen berichtet wird, dazu aber, zumindest bis heute, keine stichhaltigen Beweise (auch nicht von der israelischen Regierung!) vorgelegt werden konnten. Zur Befeuerung von Empörung und Hass sind solche Meldungen immerhin geeignet.
Menschenverachtender Zynismus: Palästinenser können nach Ägypten gehen
Ebenfalls sehr merkwürdig, was ein Kolumnist der Presse im Zusammenhang mit der Bombardierung von Gaza, nicht ohne eine Prise Zynismus, zum Besten gibt: Sie, die Palästinenser, könnten doch nach Ägypten fliehen, empfiehlt er. Um auch dieses Land zu destabilisieren und nicht zuletzt den Palästinensern, wie Hunderttausenden ihrer Leidensgenossen im Libanon, die Rückkehr in ihre Heimat zu verunmöglichen. Dazu passend Forderungen von besonderer israelischer Seite – von derselben seit einiger Zeit christliche Pilger angespuckt werden – man möge doch Gaza dem Erdboden gleich machen und an der Stelle des von Muslimen verehrten Felsendoms den Tempel Salomons neu errichten. Von da bis zur „Endlösung“ der Palästinenserfrage ist es dann ja nicht mehr weit.
Warum wird objektive Betrachtungsweise als antisemitisch gebrandmarkt?
Ich kann zwar verstehen, dass viele in ihrer Empörung über die anscheinend unterschiedslose und jedenfalls brutale Vorgangsweise der Hamas gelegentlich schon übers Ziel schießen, ab jetzt aber sollten, wahrscheinlich ein frommer Wunsch, bei nicht direkt Betroffenen Vernunft und Ausgewogenheit regieren, besonders in den betreffenden Medien. Dazu gehörte es, dass trotz angeblicher Gräueltaten der Hamas, Israels Verantwortung und seine wenig rühmliche Rolle in diesem Konflikt nicht ganz vergessen werden und jede objektive Betrachtungsweise deshalb nicht gleich als absurd oder antisemitisch zurückgewiesen wird.
Israel begünstigte Hamas, um PLO zu schwächen
Abgesehen von der bisherigen menschenverachtenden Politik Israels gegenüber den Palästinensern, ist es ja kein Geheimnis, dass im Zuge des Libanonkrieges 1982 und der „Übersiedlung“ der PLO nach Tunis, Israel der Hamas den Weg nach Gaza frei gemacht und sie in der Folge als Konkurrenz zur offiziellen Palästinenserführung gefördert und ihre Finanzierung durch Golfstaaten zugelassen hat. Der mit vielen Fragezeichen versehene „Überraschungsangriff“ der Hamas, auf den die israelische Armee seltsamerweise stundenlang nicht reagierte, hat die Palästinenserfrage jedenfalls wieder auf die Tagesordnung gebracht und das Tor für noch mehr Gewalt in der Region und darüber hinaus weit aufgestoßen. Vorerst aber einmal auch einige arabische Annäherungsversuche an Israel, bei denen die Palästinenserfrage übrigens unberücksichtigt blieb, torpediert.
Ich meine, die anfangs erwähnte Selbsterkenntnis täte übrigens allen Seiten gut, besonders eben auch Israel, das die Palästinenser seit Jahrzehnten wie Menschen zweiter Klasse behandelt, jeden Protest unterschiedslos von Alter oder Geschlecht, brutal unterdrückt und zusätzlich auch Landraub betreibt. Doch noch aus einem anderen Grund erleidet die Glaubwürdigkeit des zionistischen Akteurs Einbuße: So lieferte Israel Waffen an Aserbaidschan, das mit diesen die christlichen Armenier aus Berg Karabach erfolgreich zu vertreiben wusste. Was hätte bloß Armenierfreund Franz Werfel dazu gesagt?
Zionismus in einer Sackgasse: Hat sich Herzls Traum doch nicht erfüllt?
Eigentlich steckt der Zionismus in einer Sackgasse: Er hat in Wirklichkeit zwei von ihm gesetzte Ziele ja gar nicht erreicht: Die meisten Juden sehen nämlich in dem heutigen Israel nicht das Land ihrer Träume. Und es ist noch dazu nicht der Staat, der ihnen die versprochene Sicherheit gibt. Nirgendwo auf der Welt, schreibt Moshe Zuckermann in seinem Buch „Israels Schicksal“, sei das Leben des jüdischen Einzelmenschen so gefährdet wie gerade in Israel. Das wird auch in Zukunft so sein, denn auf jeden misshandelten oder getöteten palästinensischen Aktivisten folgen drei oder vier weitere Kämpfer für die Sache Palästinas.
Wir, vor allem aber die Israelis, werden daher in Zukunft in dieser Sache noch mit weiteren „Überraschungen“ rechnen müssen. Obzwar Wunder in der orientalischen Märchenwelt durchaus denkbar sind, sprechen die Fakten derzeit eher für eine weitere friedlose Zeit in dieser Region. So gilt nach wie vor: Entweder bekommen die Palästinenser in absehbarer Zeit ihren eigenen Staat oder der nicht enden wollende Konflikt endet einmal in einem ganz großen Krieg mit entsprechenden Folgen bis hin zur Infragestellung des Zionismus. Insofern es diese israelische Regierung mit ihrer Politik nicht ohnehin längst selbst getan hat. Hätte wahrscheinlich Kreisky auch gesagt.