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Ungarns Historie

150 Jahre Budapest Deutsche Spuren, wohin man schaut (Teil 2)

Von AUF1-Redaktion
12. November 2023
Lesezeit: 4 Min.

Dieser Beitrag von Mátyás Sándor erschien zuvor in Magazin der Budapester Zeitung

Vor 150 Jahren, genau am 17. November 1873 fand die erste gemeinsame Sitzung der Bürgerschaft des frisch vereinigten Budapest statt. Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick zurück auf die historische Entwicklung der ungarischen Hauptstadt. 

In den 1850er und 1860er Jahren erleidet Österreich große außenpolitische und militärische Niederlagen. 1859 verliert es die Lombardei, 1866 ist es gezwungen, aus dem Deutschen Bund auszutreten. Es wird zur Aufgabe des Gedankens eines einheitlichen Gesamtreiches gezwungen, für den Kaiser wird die Aussöhnung mit Ungarn wünschenswert. 

Vereinigung von Budapest 

Der Ausgleich im Jahre 1867 macht mit der seit 1849 andauernden Willkürherrschaft Schluss, im Rahmen des Dualismus wird das verfassungsmäßige Leben wiederhergestellt. Die politische Stabilität bringt einen riesigen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich. Durch das Einströmen des österreichischen Kapitals, durch die Industrialisierung und die Erweiterung des Warenverkehrs explodiert die Bautätigkeit in Pest und Buda geradezu. Anstatt der 1856 aufgelösten Verschönerungskommission wird 1870 nach dem Muster des Londoner Metropolitan Board of Works’ ein neues Organ für den Städtebau, der Hauptstädtische Rat für öffentliche Arbeiten gegründet. Unter seiner Ägide entstehen gewaltige Pläne für die Umgestaltung von Budapest zu einer Weltstadt. Als Vorbild für die Stadt dient der Hausmannsche Plan von Paris, vor allem aber die Ringstraßenregulierung in Wien. Im November 1873 wird die neue vereinigte Hauptstadt mit zehn Verwaltungsbezirken gebildet. 

Stilvolle Bauwerke

Damit die Architekten schnell und viel bauen können, entwickeln sie gültige typologische Vorbilder. Sie greifen aus dieser Überlegung immer mehr zum Formenschatz vergangener Zeitalter. Dieser Stilpluralismus ist auch in Budapest Grundsatz des Eklektizismus, trotzdem wird hier in seiner Frühphase bis ca. 1885 überwiegend unter Verwendung von italienischen Renaissanceformen gebaut, und zwar qualitativ hervorragend. Über die bemerkenswerte Solidität der Ausführungen dieser Zeit schreibt die zeitgenössische Deutsche Bauzeitung: „In keiner deutschen oder österreichischen Stadt baut man die Wohnhäuser im Durchschnitt so gut wie hier. Selbst in den Gründerjahren gab es in Budapest keine Schwindel-Ausführungen wie beispielsweise in Berlin und Wien. Der Löwenanteil des Ruhms muss dem Maurer zugesprochen werden, dessen Handwerk hier in hoher Blüte steht. Ein Berliner oder Leipziger Fachmann würde die saubere Arbeit, die hier geliefert wird, nicht ohne Staunen sehen.” Das Hauptwerk des wohl bekanntesten Vertreters der Neorenaissance, Miklós Ybl (1814–1891), ist das 1884 eröffnete Opernhaus. Seine Hauptfassade erhebt sich 45 m entlang der früheren Radialstraße, sie verrät verwandte Züge mit der Vorderfront der Wiener Oper. „Während sie sich jedoch behäbig in die Breite zieht, strebt die hiesige kühn und schroff in die Höhe, wodurch der Bau keineswegs gedrückt, sondern leicht und luftig erscheint”, schreibt 1885 die Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins. 

Neue architektonische Maßstäbe

Die kurze Dominanz der verhältnismäßig ruhigen Neorenaissance wird vom Späteklektizismus abgelöst, der von extrem geschäftlichem Wetteifer gekennzeichnet ist. Diese Tatsache beeinflusst notwendigerweise Art und Qualität der Bauwerke. Die ständig wachsende Massenproduktion verdrängt die edlen Materialien, an ihre Stelle treten Gips, Gusseisen, verzinkte Blechverzierungen und fabrikmäßig hergestellte Verkleidungsplatten. Wird jedoch die eklektische Architektur nicht allein von ihrem Gewand her beurteilt, so muss festgestellt werden, dass diese Periode ihre neuen Aufgaben oft modern lösen konnte; durch die Isolierung, die Wasserleitung und die Kanalisierung werden die technischen Voraussetzungen der modernen Wohnkultur gelegt. Die Konzeption der modernen Stadtrekonstruktion mit der Radialstraße, dem Ringsystem, der Regulierung des Donauufers, dem Bau von großen, luftigen Parks, stellt gegenüber den früheren kleinbürgerlichen Vorstellungen die Verwirklichung neuer architektonischer Maßstäbe dar. 

Ausbau der Infrastruktur

Die Infrastruktur der zukünftigen Weltstadt wird in dieser Zeit ausgebaut. Es entstehen Donaubrücken, Bahnhöfe, und in den 1880er Jahren beginnt man mit dem Ausbau des Telefonnetzes. 1896, gleichzeitig mit der zum Anlass des tausendjährigen Jubiläums der Landnahme organisierten Milleniums-Ausstellung wird die erste Untergrundbahn des europäischen Festlandes eröffnet. Der Bau der 3.690 m langen Strecke, die die Stadtmitte mit dem Stadtwäldchen verbindet, wird innerhalb von 16 Monaten ausgeführt. Zu dieser Zeit hat die Stadt schon ein 45 km langes elektrisches Straßenbahnnetz im Conduit-System nach Siemens & Halske. 1900 gibt es insgesamt 16.800 Gebäude in Budapest, das heißt, um die Jahrhundertwende besteht die Stadt zu 44% aus Bauten, die nach dem Ausgleich erbaut wurden. Die Steuerfreiheit des Mietshausbaus ermöglicht unter anderem diesen enormen Zuwachs. 

Sezession - in Ungarn antihistorische Stilbewegung um die Jahrhundertwende

In dieser Zeit melden sich überall in Europa antihistorische Bestrebungen. Die modernen Künstler flüchten fast aus der Welt der eklektischen Bequemlichkeit. Sie wollen die große Entrümpelung der Kunst und wünschen eine neue Architektur, die den Erfordernissen der modernen Zeit gemäß sein sollte. In Ungarn ist Sezession die allgemein übliche Bezeichnung für die antihistorische Stilbewegung um die Jahrhundertwende. Die Bezeichnung leitet sich von der Ausstellung Wiener Sezession von Josef Maria Olbrich im Jahre 1898 her. Es ist die sogenannte nationale Richtung, deren Formensprache aus Elementen des ethnischen Formenschatzes besteht, die der Budapester Architektur dieser Schule eine internationale Anerkennung sichert. 

Phasen der Sezession

Für ihre erste Phase (1893–1905), betont durch die Verwendung nationaler Ornamente und farbenreicher Materialien, ist die relative Vernachlässigung des Raumproblems zu Gunsten der Verzierung charakteristisch. Ödön Lechner (1845–1919) ist die bahnbrechende Figur dieser Richtung. An seinen bogenförmigen, bunten, in Ebene komponierten Gebäuden reift seine Kunst zur ungarisch-asiatischen Verwandtschaft heran. Als Fassadenverkleidung wendet er die Produkte des Kunstgewerbes an, so etwa Majolika- und Pyrogranit-Kacheln der Pécser Zsolnay-Fabrik, deren Farbeffekt in der zeitgenössischen Architektur beispiellos ist. In der zweiten Periode der Budapester Sezession – bis zu den Kriegsjahren – wirkt der Stil mehr durch malerische Proportionen und Massengruppierungen statt durch Ornamente. Prachtvolle Bauten sind die Ergebnisse des Versuchs einer Synthese der zeitgenössischen europäischen Architektur und der nationalen Richtung. 

Budapest wird zur Metropole

Das Streben nach Stofflichkeit und die großzügige, funktionalistische Einfachheit der Gestaltung charakterisieren die Werke von Béla Lajta (1875–1920). Er ist als Schöpfer der modernen ungarischen Baukunst anzusehen. Die Buch- und Musikalienhandlung Rózsavölgyi ist ein hervorragendes Beispiel für die Trennung des öffentlichen und des privaten Bereichs innerhalb eines Gebäudes. Diese Wirkung wird durch die vertikale Gliederung des unteren und die horizontale Gliederung des oberen Feldes erreicht. Die Gesimse der Fassade und die Fensterverbindenden Streifen sind mit bunten Volksornamenten geziert. Der Bau wird zwischen 1911–1912 errichtet. Zu dieser Zeit ist Budapest schon eine Metropole von annähernd 900.000 Einwohnern. 

Deutsche am stärksten vertreten

Die Zunahme der Bevölkerung erfolgt größtenteils durch die Verschmelzung mit Fremden. Die Stadt dient als Schmelztiegel der Magyarisierung der Völker des Karpatenbeckens. Unter den Assimilierten sind die Leute deutscher Herkunft zahlenmäßig am stärksten vertreten. Sie stammen aus dem deutschsprachigen Ausland, aus den Reihen des historischen Bürgertums der Städte, oder aus denen der Siebenbürger bzw. Zipser Sachsen und der im 18. Jahrhundert eingewanderten Donauschwaben. Durch ihre Assimilation leisten sie einen wesentlichen Beitrag zum Wachstum des Bürgertums. Diese Verbürgerlichung trägt wiederum durch ihre ökonomischen und zivilisatorischen Errungenschaften zum Anschluss der ungarischen Hauptstadt an Westeuropa bei.

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