Für viele ist Putin immer noch ein Held. Ein aufrechter Kämpfer gegen den westlichen Imperialismus. Dabei wird eines jedoch gern übersehen: Auch der östliche Imperialismus war nie im Interesse der Völker. Europa tut gut daran, dem neosowjetischen Großmachtstreben ebenso klar eine Absage zu erteilen wie der NATO-Expansion.
In meinem Kommentar „Souverän: Wenn das Volk entscheidet, nicht NATO oder Kreml“ habe ich dargelegt, wie sehr Westeuropa von den USA bevormundet wird. Der NATO-Beitritt Deutschlands erfolgte ohne Volksabstimmung. Das Ziel war, „die Deutschen unten zu halten“. Bis heute ist die Überwachung Deutschlands durch die USA legal. Ebenso die Einmischung in die nationale Strafverfolgung.
Der Westen agierte dabei stets rücksichtslos. Eine geplante NATO-Osterweiterung wurde zunächst negiert, dann schrittweise umgesetzt. Für Russland eine klare Provokation.
Es geht immer um Eigeninteressen
Doch auch der Kreml hat kein Interesse an einem wirtschaftlich und politisch unabhängigen Europa. Im Dezember 2013 beschloss Putin etwa einen Kredit über 15 Milliarden für die fast bankrotte Ukraine. Keineswegs aus reiner Menschenliebe. Putin setzte damit nur seinen Weg der Einflussnahme fort. Auch die Unterstützung von Wiktor Janukowytsch darf als Teil dieser imperialistischen Strategie verstanden werden. Der frühere Präsident der Ukraine galt lange Zeit als pro-russisch. Das ist es, was der Kreml will. Keine selbstständige Ukraine, sondern einen russischen Satellitenstaat.
Denn die Kernfrage politischer Handlungen lautet nie „Was ist für alle (auf dem Planeten) am besten?“, sondern immer „Was ist für uns am besten?“ Wichtig ist dabei nur: Wer ist „uns“?
Im Falle Russlands ist dies nicht das russische Volk, sondern ein kleiner Machtzirkel im Kreml. Eine Clique, die als Spiegelbild – also gespiegelte Gegenseite – des Machtzirkels im Weißen Haus verstanden werden muss. Beide Gruppen verfolgen globalistische Machtinteressen. Beide wollen global möglichst viel Einfluss, Kapital und Kontrolle.
Machtzentrum Kreml
Versetzen wir uns kurz in die Lage des Kreml und gehen ein paar Jahre zurück. Bis zur Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 war der Ein-Parteien-Staat ein enormer Machtapparat. Fast 300 Millionen Menschen, hunderte Völker, tausende Atomwaffen, ein enormes Heer. Da den Kommunisten die Weltrevolution verwehrt geblieben war, versuchten sie zumindest in ihrem Staat ihre Macht zu maximieren. Ethnische Massenumsiedlungen, Gulags und die Entnationalisierung von Minderheiten waren dabei nur einige der gewählten Methoden.
Der Kommunismus, der stets behauptete, im Interesse der Menschen zu handeln, überließ die Entscheidungen dem Zentralkomitee, nicht den Menschen. Ein enormer bürokratischer Apparat lenkte den schwerfälligen Giganten, dieses monströse Völkergefängnis, durch 70 Jahre Geschichte. Schnitt. 1991. Die Sowjetunion zerfällt. Zahlreiche neue Staaten entstehen. Die Infrastruktur Russlands ist völlig veraltet. Oligarchen übernehmen die Rolle der neuen Herrscher, teilen das „Buffett Russland“ unter sich auf. In diese Gemengelage stößt Putin. Ein ehemaliger Mitarbeiter des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB. Er entmachtet Teile der Oligarchie, reduziert den Einfluss des Westens. Zeitgleich installiert er eigene Machtzirkel, lässt andere Oligarchen gewähren.
Kremls Einfluss in Europa, Afrika und Asien
In diesem Machtzirkel lebt die Idee eines mächtigen Kremls, der seinen Einfluss wieder ausweitet. Das zeigt sich in der Ukraine, aber auch in Afrika. Dort agiert die russische Söldnerfirma der Gruppe Wagner. Sie wird vom Putin-Mann Jewgeni Prigoschin geleitet. In Afrika bildet sie die Soldaten lokaler pro-russischer Regierungen aus, bekämpft deren Feinde. Auch hier geht es nicht um Staats- oder gar Menschenrechte. Es geht um Rohstoffe und Macht. Abermals profitieren russische Oligarchen von den Geschäften mit afrikanischen Politikern. Es ist dasselbe Spiel, das auch die USA betreiben. Das auch China betreibt.
In Europa und Asien sind es die ehemaligen Sowjetstaaten mit ihren russischen Minderheiten, auf die Putin blickt. Wo er den Einfluss des Kreml nicht finanziell sichern kann, agiert er politisch. Wenn auch diese Methoden versagen, greift man zur Waffe.
Der Feind eines Feindes
Viele Menschen agieren heute nach der Devise: Der Westen ist schlecht. Deshalb muss Putin gut sein. Richtet sich sein Engagement doch ebenso gegen den Westen, wie die Politik und die Medien des Westens gegen Putin gerichtet sind. Doch das ist ein Trugschluss. Der Feind eines Feindes ist noch lange kein Freund. Und nur weil der Westen schlecht ist, ist der Osten noch lange nicht gut. Europa tut gut daran, endlich einen eigenen Weg zu beschreiten. Ohne Kreml, ohne Washington. Denn wer immer fremden Interessen dient, ist nie sein eigener Herr.